Liebe Schachfreunde,
vielleicht erinnert sich noch jemand an das Gedicht, dessen Anfang ich zur Eröffnung der diesjährigen Kreiseinzelmeisterschaft vorgelesen hatte.
Zur Erinnerung findet ihr es hier.
Erlaubt mir zum Abschied als euer Präsident diesmal das Ende desselben Gedichtes zu zitieren:
Mit diesem kleinen Ausflug in die Schachliteratur der Renaissance lade ich euch zur
Jahreshauptversammlung am 27.4.2017 ein, um einen neuen Präsidenten zu wählen!
Auch ich will Land gewinnen, es ist Zeit
Im Hafen auszuruhn nach solchem Streit.
Ich bin in Vidas Kielspur ausgezogen,
Der einst besegelt hat Italiens Wogen
Und mit genauem Reim den Krieg besingt,
in dem nicht Schwert noch Schild den Sieg erringt.
aus:
"Das Schachspiel" von Jan Kochanowski
polnischer Dichter, 1530-1584
übersetzt und kommentiert von Thomas Daiber
Berlin/Hörby, Schweden 2011, Seite 47
Das Vorbild für Jan Kochanowskis "Szachy" war also Marco Girolamo Vidas "Scacchia Ludus" von 1510*.
„…Vidas Götterepos beschreibt in der Tradition Vergils eine mit allen erlaubten und unerlaubten Mitteln
geführte Partie zwischen Merkur und Apoll. Diese ist nicht nur für die Literatur-, sondern auch für
die Schachgeschichte interessant, denn Vida hält sich nicht an die langsamen mittelalterlichen,
sondern an die schnellen neuen Schachregeln mit der heute üblichen Zugweise von Dame und Läufer.
Sein populäres Gedicht mag daher auch einen gewissen Anteil an der raschen Ausbreitung dieses «modernen» Schachs
gehabt haben, welches innert weniger Jahrzehnte die alte Spielweise völlig verdrängte.
Scacchia ludus hat dank seiner lebendigen Schilderung über die Jahrhunderte hinweg dem Schachspiel
immer wieder neue Freunde zugeführt. So ist verbürgt, dass kein geringerer als Erasmus von Rotterdam
nach der Lektüre von Vidas Versen nach Brett und Figuren rief, um mit seinen Basler Freunden zu spielen.“
Richard Forster
in: Erster Schweizer Schachdruck: Das Götterepos von Vida (1534)
http://www.chesshistory.com/ch/ssz04_09.pdf
Laut Marco Girolamo Vida haben die Götter das Spiel erfunden und die erste Partie der Welt fand zwischen Apoll und Merkur statt.
Das lateinische Originalgedicht möchte ich euch an dieser Stelle ersparen.
Die deutsche Fassung findet ihr hier.
Zu der beschriebenen Partie gibt es eine Rekonstruktion von Reinhold F. Glei und Thomas Paulsen!
("...und sie spielt sich doch!" Zur Rekonstruierbarkeit der Schachpartie in Vidas Scacchia Ludus (Neulateinisches Jahrbuch 1, 1999, 65-97))
Darum hier
DIE ERSTE PARTIE DER WELT
ZWISCHEN
APOLL UND MERKUR:
(tamtadadaaaa)
So sollen Götter spielen? Nun ja, selbst ich spiele besser!
Insgesamt eine überraschend stümperhafte Partie mit vielen, teilweise unglaublich krassen Fehlern und schlechten Zügen.
Erst ist Merkur überlegen und überspielt Apoll, dann im Zug 31 schenkt Merkur den Gewinn her.
Apoll mit Weiß steht vernichtend gut, lässt mehrmals den sofortigen Gewinn aus
und verliert seinerseits völlig unnötig erst Material und dann die Partie.
Natürlich hatte Vida literarische Gründe für die Züge, keine taktischen.
So wird der Weiße König zum Beispiel auf seinem Thron Matt gesetzt.
Und er beschreibt die Partie zweier Anfänger, die erste Partie der Welt eben!
euer Noch-Präsi
Michael Pörzgen
(*PS.: für alle die es interessiert:
die älteste vollständige handschriftliche Fassung findet sich in einem Manuskript in Madrid aus dem Jahr 1510,
der älteste Druck stammt von 1526, allerdings ein nicht autorisierter Druck ohne das Wissen Vidas!)